Wednesday, 23 August 2017

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Tyrmand bewegt sich damit ganz in der Tradition klassischer Staatsphilosophie, Krankheit verstanden als Ungleichgewicht mit politischer Unordnung in Beziehung zu setzen. Doch im Gegensatz zu den Ausführungen eines Hobbes oder Machiavelli setzt er die Krankheit nicht mit einer politischen Unordnung in Beziehung, die heilbar ist. Nein, bei ihm fehlen die optimistischen Prognosen der Heilbarkeit. Er setzt ganz eindeutig Krankheit mit Tod, also dem Untergang gleich. Wie auch Mackiewicz diagnostiziert Tyrmand aus einer beobachtenden, gar überlegenen Außenperspektive.


Eine Warnung an die Menschen, sich diesem System aktiv zu widersetzen und es zu bekämpfen, formuliert er jedoch nicht. wird das politische Modell von ganz allein den Tod finden. An einem anderen Beispiel nutzt Tyrmand ein konkretes Krankheitsbild, um den Realsozialismus in Polen zu kritisieren: die Tuberkulose. Der Sozialismus ist auf der Tuberkulose aufgebaut. Die Tuberkulose unter den Jugendlichen in den Studentenwohnheimen ist erschreckend.


Ein junger Ingenieur, bei dem ein beträchtliches Ödem in der linken Lunge entdeckt wurde, erzählte mir, dass der Arzt sich nicht für die Herausgabe einer Arbeitsbefreiung entscheiden konnte, er wankte zwischen Mitleid und der Angst vor den Instruktionen. Er sagte: Wenn ich Sie befreien müsste, könnte ein Viertel Polens das Recht auf ein Sanatorium fordern. Wieder beschreibt eine nicht selbst betroffen wirkende Instanz ihre Außenwelt und fällt ihr vernichtendes Urteil über die Tragfähigkeit eines solchen Systems. Laut Tyrmand kehrt mit dem Systemwandel 1945 auch eine Krankheit der Armut und Entbehrung zurück, die in Polen als überwunden galt und sich nun wieder rasant verbreitet. Er führt ein System vor, in welchem die Lebensbedingungen sich im Vergleich zur vorangegangenen Zeit verschlechterten und in welchem zum Wohle der Gesellschaft der Krankheit nicht nur nicht vorgebeugt und entgegengewirkt, sondern sie ignoriert wird.


Dem real existierenden Sozialismus, der das konkrete Wohlbefinden des Einzelnen zugunsten einer abstrakten Idee von Gemeinschaft rücksichtslos übergeht, wird damit klar ein Zivilisationsrückfall attestiert, der der eigenen propagierten Fortschrittsgläubigkeit zuwiderläuft. In den literarischen Umsetzungen der Pest bei Boccacio und Daniel Defoe ist diese Seuche eine Gegebenheit, die kommt und geht. Menschen sterben durch sie, erkranken und genesen oder kommen ungeschoren davon. Sein historischer Roman oder vielmehr seine Parabel im historischen Gewand thematisiert die Pest im Jahre 1458 und die drei Jahre später folgenden antisemitischen Ausschreitungen in der Stadt Arras, die im totalen Terror enden und willkürlich Opfer in der ganzen Stadt fordern. Die Krankheitsmetapher Pest nimmt bei Szczypiorski eine zweifache Funktion ein.


Einerseits ist die Epidemie die Ursache für das Chaos und die Auflösung aller normalerweise funktionierenden verbindlichen Regeln in der betroffenen Bevölkerung. Andererseits fungiert sie als Sinnbild für ein politisches Modell. Bei Szczypiorski heißt es, dass alle Menschen angesichts des Unglücks gleich wurden und die geheiligten Rechtsnormen in Trümmern lagen.


Eine Art grausiger Befreiung lag darin. Denn bislang hatte ja jeden, wer immer er war, auf Schritt und Tritt die allmächtige Hierarchie begleitet. Die Pest ist aber zugleich auch durch die Isolationsmaßnahmen seitens der Obrigkeit die Basis für das politische Modell der vollen Machtausübung und Kontrolle. In seinem historischen Diskurs zu den Mechanismen der Macht sieht Foucault in den Krankheiten Lepra und Pest die zwei großen Modelle, die der Okzident hinsichtlich der Kontrolle der Individuen hervorgebracht hat. Er stellt den Ausschluss der Leprakranken aus der Gesellschaft dem Einschluss der Pestkranken in jene entgegen.


finde bei der Pest eine Annäherung der Macht an das Individuum statt. Es geht nicht um Ausschluss, sondern um Quarantäne. Während die Lepra Distanz fordert, gehört zur Pest eine immer feinere Annäherung der Macht an die Individuen, eine immer dauerhaftere und inständigere Beobachtung. in dem sie den wunderbaren Moment der vollen Ausübung der politischen Macht darstellt. Die Pest ist jener Moment, in dem die erkennungsdienstliche Erfassung der Bevölkerung auf die Spitze getrieben wird und sich keine gefährlichen Kommunikationen, keine konfusen Gemeinschaften, keine verbotenen Kontakte mehr ergeben. Die Pest bedeutet die durchgängige Rasterung einer Bevölkerung mittels einer politischen Macht, deren kapillare Verzweigungen sich unablässig bis in den Kern der einzelnen Individuen, in ihre Zeit, ihre Behausung, ihren Aufenthaltsort und ihre Körper hinein erstrecken.


Wenn in dem Roman Szczypiorskis der Erzähler über die totale Isolierung der Stadt Arras auf Befehl des Bischofs von Utrecht berichtet, dann beschreibt er administrative Schritte, denen ein rigoroser, politischer Machtanspruch zugrunde liegt. Das Bestialische gewann die Oberhand über die Menschennatur. Man öffnete die Gräber der Verstorbenen und ergab sich dem grauenvollsten Kannibalismus. Es ereigneten sich Fälle, daß Familienangehörige einen Sterbenden erschlugen, um sich mit frischem, von Fäulnisgestank freiem Fleisch zu sättigen.


Wie stets, wenn die Menschen das Ende aller Dinge voraussehen, wurde die Stadt von den zügellosesten Lastern erfaßt. Musterhafte, tugendsame Frauen führten sich wie Dirnen auf. Man konnte Szenen unbeschreiblicher Obszönität beobachten, die sich unter freiem Himmel, ja selbst vor Kirchenportalen abspielten.


Diese Seuche hinterlässt nicht nur viele Tote, sondern vor allem moralische Schäden durch die unmittelbare Erfahrung von Raub, Kannibalismus und Triebhaftigkeit. Anders als bei Mackiewicz haben die Menschen keinen Einfluss darauf, ob sie von der Pest befallen werden oder nicht. Sie ist wie eine Naturgewalt, die aufzieht und wieder verschwindet.


Zudem hebt der abwägende Erzähler nicht nur das Elend und den Tod hervor, sondern auch das befreiende Moment dieser Krankheit: die Veränderung und Auflösung der bestehenden Hierarchie. Erst in Konfrontation mit der Pest tragen die Betroffenen die Verantwortung für ihr Handeln. Der Erzähler, selbst nicht frei von Anpassungsdruck und Fehlentscheidungen, nimmt die Menschen in seiner Stadt in Schutz, die erst durch die außergewöhnlichen, schrecklichen Umstände zu den Gräueltaten fähig sind. Die Erzählinstanz gibt allerdings auch Beispiele von Personen, die sich trotz dieses Chaos und der allgegenwärtigen Amoralität human und würdevoll verhalten. Bezogen auf den Kommunismus schließt Szczypiorski sittliches Verhalten nicht automatisch aus. Selbst unter krankhaften Umständen kann der Einzelne wählen, selbst unter dieser Krankheit kann er sich human oder verwerflich verhalten.


Der Roman entstand zwischen September 1968 und November 1970. ist in der VR Polen bekanntermaßen das Jahr der Studentenunruhen und der von offizieller Seite initiierten antisemitischen Welle. Natürlich ist die Pest in Arras eine Realität und zugleich eine Metapher. Etwa für den Stalinismus? Eine solche Deutung dieser Parabel wäre nicht ganz falsch. Sie scheint sogar sehr plausibel.


Die Pest als Sinnbild für den Kommunismus in seiner stalinistischen und polnischen Variante fordert viele Opfer und steht als politisches Modell für die Mechanismen einer Diktatur mit totalitärem Anspruch. Zudem bedingt sie die Aufhebung geltender moralischer und rechtlicher Zustände sowie Normen, in deren Folge jeder Einzelne entscheiden muss, welche Haltung er einnimmt. Anders als in den Texten der beiden vorangegangenen Autoren versucht Szczypiorski, diesem Terror einen historischen Sinn zu verleihen. Er kann und möchte sich nicht damit abfinden, dass die Toten und die Gräueltaten ohne jegliche Bedeutung sind. von 1979, durch den er sich den literarischen Nobelpreis erhoffte, nicht das politische Modell, sondern das Individuum in den Mittelpunkt.


versehen die Verantwortlichen seines Operativen Vorgangs selbst diesen Text, der in Polen zensiert erscheint. Die Welt Andrzejewskis ist krank, unvollkommen, ratlos unvollendet. Wenn im Roman der Vergleich mit der Krankheit herangezogen wird, dann um zu beschreiben, welche Auswirkungen dieses System auf den Menschen hat.


die Wunden, die eine verdorbene Macht den Leuten zufügt, lassen das Individuum bisweilen genauso einsam und etwas schamhaft werden, wie auch ein Mensch sich allein gelassen und schamhaft fühlt, wenn eine tödliche Krankheit seinen Organismus vergiftet und zersetzt. In diesem Roman geht es nicht darum, das System selbst zu diagnostizieren, sondern seine Folgen auf den Einzelnen zu veranschaulichen. Der Erzähler benennt keine konkrete Krankheit, er sucht nicht nach den Ursachen. Der Vergleich zielt darauf ab, die Vorstellung von Krankheit als Verfall mit der verdorbenen, illegitimen Macht gleichzusetzen. Die Verletzungen, die dem Individuum durch diese Macht widerfahren können, spiegelt auf materieller Ebene des Körpers die tödliche Krankheit wider, die sich im Einzelnen festsetzen kann.